AUC HISTORIA UNIVERSITATIS CAROLINAE PRAGENSIS
AUC HISTORIA UNIVERSITATIS CAROLINAE PRAGENSIS

Časopis AUC Historia Universitatis Carolinae Pragensis s podtitulem „Příspěvky k dějinám Univerzity Karlovy“ je periodikum věnované nejen historii pražské univerzity, ale i dějinám vzdělanosti a studentského hnutí v českých zemích. Časopis vycházející od roku 1960 v rámci univerzitní řady Acta Universitatis Carolinae přináší také materiálové studie uveřejňující původní historické prameny (všechny stati jsou opatřeny cizojazyčnými, zpravidla německými a anglickými souhrny). Časopis otiskuje pravidelně recenze a anotace prací k dějinám vzdělanosti a kroniku badatelské činnosti.

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AUC HISTORIA UNIVERSITATIS CAROLINAE PRAGENSIS, Vol 49 No 1 (2009), 43–92

Hans Meyer – klíčová postava pražské německé univerzitní chemie prvé třetiny 20. století

[Hans Meyer – die wichtigste Persönlichkeit des Fachbereichs Chemie an der Prager Deutschen Universität im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts]

Jiří Pešek, David Šaman

zveřejněno: 02. 11. 2014

Abstract

Hans Meyer – die wichtigste Persönlichkeit des Fachbereichs Chemie an der Prager Deutschen Universität im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Der Aufsatz beschäftigt sich mit dem Leben und Werk des langjährigen Direktors des Chemischen Instituts an der Prager Philosophischen, später Naturwissenschaftlichen Fakultät der Deutschen Universität, Hans Meyer. Da bisher über die Prager deutsche akademische Chemie nur wenig publiziert wurde, versuchen die Verfasser, den großen und international anerkannten Forscher und akademischen Lehrer in einem breiteren Kontext der Entwicklung seines Faches bzw. Instituts vorzustellen. Dies ist schon darum sinnvoll, weil die Chemie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das größte und produktivste Fach unter den Naturwissenschaften in Prag war und eine beträchtliche Rolle auch bei der Ausbildung der Mediziner spielte. Hans Meyer wurde 1871 in Wien in eine bildungsbürgerliche, halbjüdische Familie geboren, studierte an der Wiener Universität (mit Studienaufenthalten in Heidelberg und in Freiberg), wo er bei Hugo Weidel im Jahre 1894 im Bereich der organischen Chemie promovierte. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er als Assistent an der Wiener Technischen Hochschule. Bereits 1897 ging Meyer dann nach Prag an das Chemische Institut der Deutschen Universität als Adjunkt von Prof. Guido Goldschmiedt, wo er praktisch gleich habilitierte. Sein Buch „Anleitung zur quantitativen Bestimmung der organischen Atomgruppen“ von 1897 machte ihn international berühmt – bald schon erschienen eine amerikanische, eine italienische und eine russische Übersetzung, später folgten noch überarbeitete Neuausgaben in Berlin, New York und Leningrad. Die wissenschaftlichen Erfolge Meyers, der 1904 außerordentlicher Professor wurde, lassen sich nicht nur an einer erstaunlich hohen Anzahl anerkannter, vor allem in den Wiener Zeitschriften publizierter Studien zu verschiedenen Feldern der Organik ablesen, sondern auch und vor allem an dem schon 1903 publizierten zweiten Buch: „Analyse und Konstitutionsermittlung organischer Verbindungen“. Dieses, auch in Frankreich und in den USA in Übersetzungen veröffentlichte Werk, wurde schließlich zu Meyers Lebenswerk: Insgesamt erschienen sechs, immer wieder grundsätzlich überarbeiteten und erweiterten Auflagen. Die sechste Auflage aus den Jahren 1938–40 hatte einen Umfang von insgesamt 4500 Seiten und gehörte für Jahrzehnte zu den wichtigsten Nachschlagewerken der euroamerikanischen Organik. Noch 1943 wurde das Buch in Ann Arbor phototypisch neu aufgelegt. Meyer war aber auch als Laborforscher sehr erfolgreich: Für seine Entdeckung der Säurechlorid-Herstellung erhielt er 1905 den Wiener Ignaz-Lieben-Preis, also den „österreichischen Nobel-Preis“. Im Jahre 1909 publizierte er als weltweit Erster über die Thermochromie der organischen Stoffe. Zu seinen weiteren berühmten Entdeckungen gehörte dann die Analyse der Mellitsäure oder seine Studie über die – später medizinisch enorm wichtigen – Hydrazide der Karboxylsäuren. 1908 wurde der fleißig und vielfältig dozierende Meyer schließlich zum Ordinarius an der Prager Deutschen Technischen Hochschule berufen; nach dem Abgang von Goldschmiedt nach Wien kehrte er aber schon 1911 zurück an die Universität und wurde Nachfolger seines einstigen Lehrers. Meyer baute die gute Basis, auf die Goldschmiedt die Prager deutsche Chemie in tatkräftiger Zusammenarbeit mit den Chemikern der Prager Deutschen TH gestellt hatte, weiter aus und dirigierte das Institut erfolgreich durch den Ersten Weltkrieg (1914/15 als Dekan der Fakultät). Zeitgleich publizierte er unaufhörlich zu einer breiten Palette von Themen, und zwar sehr oft gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und Schülern. Es war für ihn typisch, dass er auch viel mit seinen 92 Schülerinnen veröffentlichte, was damals äußerst unüblich war. Die Begabteste unter ihnen, seine wissenschaftlich brillante Assistentin Alice Hofmann, heiratete er schließlich nach dem Tode seiner ersten Frau Otylie 1921. Er blieb also weiterhin durch Heirat im Prager deutsch-jüdischen Milieu verankert. Das Kriegsende und die Gründung der Tschechoslowakei markieren einen tiefen Einschnitt in Meyers bisheriger Lebens- und Arbeitsweise: Nicht nur endete seine bisher florierende Zusammenarbeit mit der Wiener Universität abrupt, sondern er brauchte als nunmehr tschechoslowakischer Staatsbürger für die Reisen zu seinen Geschwistern nach Wien plötzlich einen Pass und eine staatliche Erlaubnis. Zudem veränderte sich offensichtlich auch die Prager wissenschaftliche Landschaft – hauptsächlich kam es gleich 1919 zu einem Ansturm der Studenten auf das Chemische Institut, was zu einer fast unvorstellbaren Arbeitsbelastung seines Direktors führte. Meyer minimalisierte unter diesen Umständen seine Laborforschung und konzentrierte sich auf eine systematische Weiterentwicklung seines Werkes über organische Verbindungen (wahrscheinlich mit der Hilfe seiner Frau, die das Chemische Institut den Gebräuchen der Zeit üblich nach der Heirat verlassen musste). Eine gute intellektuelle Kompensation für seinen Arbeitsstress fand er in der Sammlertätigkeit und Kunstgeschichtsforschung über das böhmische Porzellan und Steingut. Sein 1927 veröffentlichtes Buch über dieses Thema bleibt bis heute das Standardwerk auf diesem Felde. Für das Institut und für das ganze Fach war es unheimlich wichtig, dass es Hans Meyer gelang, an der Schwelle der 1930er Jahre eine neue Gruppe seiner Schüler zu habilitieren und mit ihnen neue, spezialisierte Abteilungen im Institut zu besetzen. Nur so war es auch überhaupt möglich, die Masse der Naturwissenschaftler, Mediziner und Pharmazeuten, welche in Hunderten (!) jedes Semester Vorlesungen und Übungen bei Meyer absolvieren mussten, zu bewältigen und vor allem die in den Jahren der Weltwirtschaftskrise explodierende Menge an Doktoranden (in den 1930er Jahren durchschnittlich 27 Promotionen jährlich) zu betreuen. Es ist interessant, dass die Gruppe seiner Schüler, die sich um 1930 habilitierten, überwiegend aus „Nichtjuden“ bestand, während die meisten seiner früheren Assistenten jüdisch waren. Die Chemie wurde nämlich im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts in Österreich als eine überwiegend „jüdische Wissenschaft“ betrachtet – in der Tat kann konstatiert werden, dass die meisten der großen akademischen Chemiker aus dem jüdischen Milieu stammten. Das änderte sich in der Zwischenkriegszeit beträchtlich: in Wien ebenso wie in Prag. Die Krisenzeit brachte harte Sparmaßnahmen von Seiten des Bildungsministeriums mit sich. Um die wachsende Zahl der Studenten und Doktoranden trotzdem zu bewältigen, benutzte die Institutsleitung eigenwillig einen Teil der von den Studenten bezahlten Taxen für den Kauf von Chemikalien und die Ausstattung der Labore. Dies war eine der Bedingungen dafür, dass auch in dieser Zeit die wissenschaftliche Produktion des Instituts weiterhin beträchtlich blieb. Nachdem allerdings einer der Mitarbeiter einen Teil des Geldes veruntreut und bei der Entdeckung der Missstände Suizid verübt hatte, wurde diese Praxis Anfang des Jahres 1936 amtlich festgestellt und schließlich die gesamte Summe der dem Staat nicht ordentlich abgeführten Geldmittel dem – vorzeitig pensionierten und schwer zuckerkranken – Institutsvorstand Meyer zur Last gelegt. Zusätzlich verschärft wurde diese Disziplinarmaßnahme 1938 durch die vollständige Beschlagnahme seiner Pension. Die großen akademischen und wissenschaftlichen Verdienste Meyers spielten bei der Behandlung dieses Falles offensichtlich keine mildernde Rolle. Meyer, der zwar kein armer Mensch war, aber für die Hochschulbildung seiner vier Kinder ebenso wie für seine Forschungen, mindestens hinsichtlich der Literaturbeschaffung, hatte aufkommen müssen, befand sich also plötzlich in einer sozial katastrophalen Lage. Und die Zerschlagung der Tschechoslowakei durch die Nazis (einige seiner ehemaligen Assistenten gehörten zu den Protagonisten der Gleichschaltung der Deutschen Universität) brachte ihm weitere Probleme: Als Halbjude, zweimal nacheinander mit einer Jüdin verheiratet, wurde er Opfer der rassischen Verfolgung. So musste er seine Wohnung verlassen, seine Sammlungen wurden durch die Gestapo konfisziert und vor allem wurde er mit seiner Frau im Jahre 1942 nach Theresienstadt deportiert. Das Ghetto erreichte er schon in einem kritischen gesundheitlichen Zustand – ein Bein musst ihm kurz nach der Ankunft amputiert werden, bald darauf starb er. Es ist bemerkenswert, dass Hans Meyer sehr schnell in Vergessenheit geraten ist, abgesehen von einem kurzen Nachruf 1947 in der Österreichischen Chemiker-Zeitung, obwohl sein großes und vielfältiges Werk mindestens bis zum Ende der 1950er Jahre in Europa wie auch in Amerika weiterhin Gültigkeit behielt und erst durch die „elektronische Wende“ um 1960 antiquiert wurde. Offenbar war er für die Tschechen ein „deutscher Jude“, für die Deutschen ein „Österreicher“ und für seine in der Zeit der Not keineswegs hilfsbereiten Schüler das personifizierte „schlimme Gewissen“. Dabei gehörte er zu den besten, produktivsten und inspirierendsten Köpfen der mitteleuropäischen Wissenschaftslandschaft seiner Zeit.

157 x 230 mm
vychází: 2 x ročně
cena tištěného čísla: 150 Kč
ISSN: 0323-0562
E-ISSN: 2336-5730

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